Materialien zum Seminar „Sucht-Sinn-Spiritualität

 

 

 

(Be)

 

 

 

 

Sinn

 

 

(liches)

 

 

Geschichten

 

Gedichte

 

und kleine

 

Texte

 

gesammelt

 

von

 

Jürgen Behring

 

I.Geschichten

 

Gibt es ein Leben nach der Geburt

Worte zum Nachdenken und zum Weiterschenken

 

Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch seiner Mutter.

"Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?" fragt der eine Zwilling.

"Ja auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden stark für das was draußen kommen wird." antwortet der andere Zwilling.

"Ich glaube, das ist Blödsinn!" sagt der erste. "Es kann kein Leben nach der Geburt geben – wie sollte das denn bitteschön aussehen?"

"So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herumlaufen und mit dem Mund essen?"

"So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabelschnur, die uns ernährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist die Nabelschnur viel zu kurz."

"Doch, es geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders."

"Du spinnst! Es ist noch nie einer zurückgekommen von 'nach der Geburt'. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende. Punktum."

"Ich gebe ja zu, dass keiner weiß, wie das Leben nach der Geburt aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann unsere Mutter sehen werden und sie wird für uns sorgen."

"Mutter??? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?"

"Na hier – überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein!"

"Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht."

"Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt...."

 

Geschichte nach Henry Nouwen

 

 

 

 

Geschichte von Gott

(Hermann van Veen)

Als Gott nach langem Zögern wieder mal nach Hause ging, war es 
schön ; sagenhaftes Wetter ! Und das erste was Gott tat, war : 
die Fenster sperrangelweit zu öffnen, um sein Häuschen gut zu lüften. 

Und Gott dachte : Vor dem Essen werde ich mir noch kurz die 
Beine vertreten. Und er lief den Hügel hinab zu jenem Dorf, 
von dem er genau wusste, dass es da lag. 

Und das erste, was Gott auffiel, war, dass da mitten im Dorf 
während seiner Abwesenheit etwas geschehen war, was er nicht 
erkannte. Mitten auf dem Platz stand eine Masse mit einer 
Kuppel und einem Pfeil, der pedantisch nach oben wies. 

Und Gott rannte mit Riesenschritten den Hügel hinab, stürmte 
die monumentale Treppe hinauf und befand sich in einem un- 
heimlichen, nasskalten, halbdunklen, muffigen Raum. 

Und dieser Raum hing voll mit allerlei merkwürdigen Bildern, 
viele Mütter mit Kind mit Reifen überm Kopf und ein fast sadistisches Standbild von einem Mann an einem Balkengerüst. 
Und der Raum wurde erleuchtet von einer Anzahl fettiger, gelblich- 
weißer, chamoistriefener Substanzen, aus denen Licht leckte. 

Er sah auch eine höchst unwahrscheinliche Menge kleiner Kerle 
herumlaufen mit dunkelbraunen und schwarzen Kleidern und 
dicken Büchern unter müden Achseln, die selbst aus einiger 
Entfernung leicht modrig rochen. 

"Komm mal her! Was ist das hier ?" 

Was ist das hier ! Das ist eine Kirche, mein Freund. 
Das ist das Haus Gottes." 

"Aha ... wenn das hier das Haus Gottes ist, Junge, warum 
blühen hier dann keine Blumen, warum strömt dann hier kein 
Wasser und warum scheint dann hier die Sonne nicht, Bürschchen ?!" 

"....das weiß ich nicht." 

"Kommen hier viele Menschen her, Knabe?" 

"Es geht in letzter Zeit etwas zurück." 

"Und woher kommt das Deiner Meinung nach? Oder hast Du 
keine Meinung?" 

"Es ist der Teufel. Der Teufel ist in die Menschen gefahren. 
Die Menschen denken heutzutage, dass sie selbst Gott sind 
und sitzen lieber auf ihrem Hintern in der Sonne." 

Und Gott lief fröhlich pfeifend aus Kirche auf den Platz. 
Da sah er auf einer Bank einen kleinen Kerl in der Sonne sitzen. 
Und Gott schob sich neben das Männlein, schlug die Beine über- 
einander und sagte : ".... Kollege !"

Hermann van Veen

 

Das Gottvertrauen (Bert Hellinger)

 

Während einer großen Überschwemmung betete ein Rabbi, dass Gott ihm helfen möge. Das Wasser stieg jedoch immer höher, und er kletterte schließlich auf das Dach seines Hauses.

Als ein Boot vorbeikam und ihn auflesen wollte, lehnte er ab:

„Ich warte, dass Gott mir hilft“, und er betete weiter.

Dann überflog ihn ein Hubschrauber und wollte ihn holen, er aber antwortete: „Nein, nein, ich warte, bis Gott mir hilft.“ Schließlich ist er ertrunken, und als er vor Gott kam, beschwerte er sich: „Jetzt habe ich so gebetet, und du hast mir nicht geholfen.“ – „Doch“, sagte Gott, „ich habe dir ein Boot und einen Hubschrauber geschickt.“

 

 

Der Glaube (Bert Hellinger)

 

Jemand erzählt, er habe zweien zugehört, die sich darüber unterhielten: „Wie hätte Jesus reagiert, hätte er einem Kranken zugerufen: „Steh auf nimm dein Bett und geh nach Hause.“, und der hätte geantwortet: „Ich will aber nicht“?“

 

Schließlich meinte einer von den beiden: „Wahrscheinlich hätte Jesus zuerst geschwiegen. Doch dann hätte er sich zu seinen Jüngern gewandt und gesagt:  „Der gibt Gott mehr Ehre als ich“.“

 

 

Wie Nasrudin Wahrheit schuf

 

Gesetze als solche machen die Menschen nicht besser“, sagte Nasrudin zum König. „Sie müssen bestimmte Dinge in die Tat umsetzen, um auf die innere Wahrheit abgestimmt zu werden. Diese Form der Wahrheit ähnelt der äußeren Wahrheit nur von ferne.“

 

Der König aber beschloss, die Menschen dazu zu bringen, die Wahrheit anzunehmen. Er war überzeugt, er könne sie dazu bringen, Wahrhaftigkeit in die Tat umzusetzen.“

 

Man kam in die Stadt über eine Brücke; auf dieser ließ er einen Galgen errichten. Am nächsten Tage, als die Tore im Morgengrauen eröffnet wurden, stand der Wachhauptmann dort mit seiner Truppe bereit, um alle, die in die Stadt wollten, zu überprüfen.

 

Folgendes hatte man bekanntgegeben: „Jedermann wird befragt! Wenn er die Wahrheit spricht, wird ihm erlaubt, in die Stadt zu gehen. Wenn er lügt, wird er gehängt.“

 

Nasrudin kam heran.

Wohin gehst du?“

Ich bin unterwegs, um gehängt zu werden“, sagte Nasrudin gemächlich.

Das glauben wir dir nicht!“

Gut! Falls ich gelogen habe, hängt mich auf!“

      „Aber wenn wir dich aufhängen, weil du gelogen hast, machen wir das, was du gesagt hast, ja zur Wahrheit.“

      „Recht so! Jetzt wisst ihr, was Wahrheit ist – eure Wahrheit!“

 

 

aus: Shah, „Die fabelhaften Heldentaten...“

 

 

Esoterisch

 

Ein Scharlatan mit Namen Khamsa ging eines Tages zu Nasrudin und sagte:

      „Ist es wahr, dass du geheimes Wissen hast?“

     „Er zähle mir etwas von deinen eigenen hohen Erfahrungen“, war alles, was Nasrudin erwiderte.

     „Gerne. Nachts verlasse ich diese materielle Welt und erhebe mich zu den höchsten Himmeln.“

     Fühlst du dann , o  Meister“, fragte Nasrudin, „wie dein Antlitz von einem fächerartigen Gegenstand gekühlt wird?“

     „Ja, ja“ sagte Khamsa, weil er dachte, das müsse eines der Merkmale höherer Erfahrung sein.

     „Wenn dem so ist“, sagte Nasrudin, „ solltest du lieber wissen, dass jener fächerartige Gegenstand der Schwanz meines langohrigen Esels ist.“   

 

 

 

Der kleine John (nach: Walther Lechler)

 

„In einer einsamen bewaldeten Gegend setzte eines Abends ein fürchterliches Gewitter mit grellen Blitzen und ohrenbetäubenden Donnerschlägen ein. Das ganze Haus schien durch die entfesselten Naturgewalten in seinen Grundfesten zu erbeben. Die Familie war bereits zu Bett gegangen. Der kleine, zarte Sohn John, gerade acht Jahre alt, schreckte jäh aus dem Schlaf, sprang von seinem Lager in den immer wieder von Blitzen hell erleuchteten Zimmer hoch und entfloh den drohenden, gespensterhaften Schatten, die über die Zimmerdecke huschten. Er rannte voller Panik zum Schlafzimmer der Eltern und kroch dort zitternd unter die große Bettdecke. Er schmiegte sich hilfesuchend an den Vater, klammerte sich an ihn wie ein Ertrinkender und brachte nur einen, in der kleinen Kehle immer wieder erstickenden, Schrei hervor. Die Eltern streichelten liebevoll ihren zitternden Jungen und drückten ihn fest an sich. Sie sagten ihm, dass er keine Angst haben müsse, denn Gott unser himmlischer Vater, der ihn und sie alle liebe, werde nicht zulassen, dass ihm und ihnen allen ein Leid geschehe. Jeder Mensch habe einen Schutzengel, so auch er, der ihn überall hin begleite und beschütze. Inzwischen hatte die Wucht des Gewitters nachgelassen, und es schien, dass die Blitze schwächer wurden, und das Grollen des Donners war nur noch wie von ferne zu hören. „Nun, lieber John“, sagte der Vater, „ jetzt kannst du ruhig wieder in dein Zimmer zurückkehren.“ „Kaum aber war John dort angelangt und hatte sich getröstet wieder in seine Decken eingehüllt, setzte erneut der Sturm ein und, wie es schien, mit verstärkter Macht. John versuchte erst, tapfer zu sein und im Vertrauen auf die elterliche Botschaft von Gott, dem liebenden Vater, und den Engeln, die ihn begleiteten, seine Ängste durchzustehen. Als aber die Naturgewalten noch vehementer hereinbrachen, sprang er wie ein gehetztes Tier schweißüberströmt aus seinem Zimmer, riss mit Getöse die Tür bei seinen Eltern auf und kroch mit einem Sprung unter die schützende Decke, kuschelte sich in der Wärme an seinen Vater heran und stieß keuchend hervor: „Gott und die Engel mag es geben, die helfen mir aber jetzt nicht, ich brauche jetzt jemanden mit Haut!“

 

 

 Der Gast (Bert Hellinger)

 

Irgendwo, weit weg von hier, dort, wo einmal der Wilde Westen war, wandert einer mit dem Rucksack auf dem Rücken durch weites menschenleeres Land. Nach stundenlangem Marsch – die Sonne steht schon hoch und sein Durst wird groß  - sieht er am Horizont ein Farmhaus. „Gott sei Dank!“ denkt er, „ endlich wieder mal ein Mensch in dieser Einsamkeit. Bei ihm kehre ich ein, bitte ihn, um etwas zu trinken, und vielleicht setzen wir uns noch auf die Veranda und unterhalten uns, bevor ich weiterziehe.“ Und er malt sich aus, wie schön es sein wird.

 

Als er aber näher kommt, sieht er, wie der Farmer sich im Garten vor dem Haus zu schaffen macht, und ihn befallen erste Zweifel. „Wahrscheinlich hat er viel zu tun, und wenn ich sage, was ich möchte, falle ich ihm lästig; und er könnte meinen, ich sei unverschämt.“ Als er dann an die Gartentüre kommt, winkt er dem Farmer nur und geht vorbei.

 

Der Farmer seinerseits sah ihn von Ferne, und er freute sich. „Gott sei Dank! Endlich wieder einmal ein Mensch in dieser Einsamkeit. Hoffentlich kommt der zu mir. Dann werden wir zusammen etwas trinken, und vielleicht setzen wir uns noch auf die Veranda und unterhalten uns, bevor er wieder weiterzieht.“ Und er ging ins Haus, um schon Getränke kalt zu stellen.

 

Als er den Fremden aber näher kommen sah, begann auch er zu zweifeln. „Er hat es sicher eilig, und wenn ich sage, was ich möchte, falle ich ihm lästig; und er könnte meinen, ich dränge mich ihm auf. Doch vielleicht ist er durstig und will von sich aus zu mir kommen. Am besten ist, ich gehe in den Garten vor dem Haus und tue so, als ob ich mir zu schaffen mache. Dort muss er mich ja sehen, und wenn er wirklich zu mir will, wird er es schon sagen.“ Als dann der andere nur herüberwinkte und seines Weges weiterzog, sagte er: „Wie schade!“

 

Der Fremde aber wandert weiter. Die Sonne steigt noch höher, und sein Durst wird größer, und es dauert Stunden, bis er am Horizont ein anderes Farmhaus sieht. Er sagt sich: „Diesmal kehre ich bei dem Farmer ein, ob ich ihm lästig falle oder nicht. Ich habe solchen Durst, ich brauche etwas zu trinken.“

 

Doch auch der Farmer sah ihn schon von Ferne und dachte: „Der kommt doch hoffentlich nicht zu mir. Das fehlte mir gerade noch. Ich habe viel zu tun und kann mich nicht auch noch um andere Leute kümmern.“ Und  er machte mit der Arbeit weiter, ohne aufzublicken,

 

Der Fremde aber sah ihn auf dem Feld, ging auf ihn zu und sagte: „Ich habe großen Durst. Bitte gib mir zu trinken.“ Der Farmer dachte: „Abweisen darf ich ihn jetzt nicht, schließlich bin auch ich ein Mensch.“ Er führte ihn zu seinem Haus und brachte ihm zu trinken.

 

Der Fremde sagte: „Ich habe deinen Garten angeschaut. Man sieht, hier war ein Wissender am Werk, der Pflanzen liebt und weiß, was sie brauchen.“ Der Farmer freute sich und sagte: „Ich sehe, auch du verstehst etwas davon.“ Er setzte sich und sie unterhielten sich lange.

 

Dann stand der Fremde auf und sagte: „Jetzt ist es Zeit für mich zu gehen.“ Der Farmer aber wehrte ab. „Schau“, sagte er, „ die Sonne steht schon tief. Bleib diese Nacht bei mir. Dann setzen wir uns noch auf die Veranda und unterhalten uns, bevor du morgen weiterziehst.“ Und der Fremde stimmte zu.

 

Am Abend saßen sie auf der Veranda, und das weite Land lag wie verklärt im späten Licht. Als es dann dunkel war, begann der Fremde zu erzählen, wie sich für ihn die Welt verändert habe, seitdem er inne wurde, dass ihn auf Schritt und Tritt ein anderer begleite. Erst habe er es nicht geglaubt, dass einer dauernd mit ihm ging. Dass, wenn er stehen blieb, der andere stand, und wenn er aufbrach, der andere sich mit ihm erhob. Und er brauchte Zeit, bis er begriff, wer dieser sein Begleiter sei.

 

„Mein ständiger Begleiter“, sagte er das ist mein Tod. Ich habe mich so sehr an ihn gewöhnt, dass ich ihn nicht mehr missen will. Er ist mein treuester, mein bester Freund. Wenn ich nicht weiß, was richtig ist und wie es weitergehen soll, dann halte ich ein Weilchen still und bitte ihn um eine Antwort. Ich setze mich ihm aus als Ganzes, gleichsam mit meiner größten Fläche; weiß, er ist dort, und ich bin hier. Und ohne dass ich mich an Wünsche hänge, warte ich, bis mir von ihm zu mir ein Hinweis kommt. Wenn ich gesammelt bin und mich ihm mutig stelle, kommt mir nach einer Zeit von ihm zu mir ein Wort, wie wenn ein Blitz was dunkel war erhellt – und ich bin klar.“

 

Dem Farmer war die Rede fremd, und er blickte lange schweigend in die Nacht. Dann sah auch er, wer ihn begleitet, seinen Tod, - und er verbeugte sich vor ihm.

 

Ihm war, als sei was ihm von seinem Leben blieb verwandelt. Kostbar wie Liebe, die um Abschied weiß, und wie die Liebe bis zum Rande voll.

 

Am nächsten Morgen aßen sie zusammen, und der Farmer sagte: „Auch wenn du gehst, bleib mir ein Freund.“ Dann traten sie ins Freie und reichten sich die Hand. Der Fremde ging seines Weges und der Farmer auf sein Feld.

 

Zwei Mönche (gefunden)

 

Zwei Mönche sind auf Wanderschaft. Als sie an einen Fluss kommen sitzt, dort mit tränenüberströmten Gesicht ein bildhübsches Mädchen auf einem Stein am Wegesrand. „Die Strömung ist zu stark“, jammert sie, „ich komme nicht hinüber.“ Da nimmt der ältere der beiden Mönche sie mit lächelndem Gesicht auf seine Arme und schreitet mit ihr durch das Wasser hinüber auf die andere Seite des Flusses. Dort setzt er sie ab und setzt gemeinsam mit seinem Bruder die Reise fort.

 

„Du“, beginnt nach etwa einer Stunde der jüngere der beiden Mönche ein Gespräch, „ aber wir dürfen doch keine Frau anschauen oder gar berühren. Wenn das nun die anderen Brüder im Kloster erfahren. Was wird dann los sein? Was gibt das für ein Theater? Wie konntest du nur dir Frau auf deine Armen tragen?“ Seelenruhig antwortet der Ältere: „Ich habe die Frau vor einer Stunde am Fluss abgesetzt, du trägst sie immer noch mit die herum.“

 

 

Die halbe Wahrheit

 

Vom Propheten Mohammed wird folgende Begebenheiten berichtet: Der Prophet kam mit einem seiner Begleiter in eine Stadt, um zu lehren.
Bald gesellte sich ein Anhänger seiner Lehre zu ihm: "Herr! In dieser Stadt geht die Dummheit ein und aus. Die Bewohner sind halsstarrig. Man möchte hier nichts lernen. Du wirst keines dieser steinernen Herzen bekehren."
Der Prophet antwortete gütig: "Du hast recht!"

... Bald darauf kam ein anderes Mitglied der Gemeinde freudestrahlend auf den Propheten zu: "Herr! Du bist in einer glücklichen Stadt. Die Menschen sehnen sich nach der rechten Lehre und öffnen ihre Herzen deinem Wort."
Mohammed lächelte gütig und sagte wieder: "Du hast recht!"

"O Herr" wandte da der Begleiter Mohammeds ein. "Zu dem Ersten sagtest du er habe recht. Zu dem Zweiten, der genau das Gegenteil behauptet, sagtest du auch, er habe recht. Schwarz kann doch nicht weiß sein."

Mohammed erwiderte: "Jeder Menschen sieht die Welt so, wie er sie erwartet. Wozu sollte ich den beiden widersprechen? Der eine sieht das Böse, der andere das Gute. Würdest Du sagen, dass einer von beiden etwas Falsches sieht, sind doch die Menschen hier wie überall böse und gut zugleich. Nichts Falsches sagte man mir, nur Unvollständiges."

(aus: "Der Kaufmann und der Papagei." von Nossrat Peseschkian)

 

 

 

 

 

MU

 

Ein Mönch fragte den (Zen) Meister Joshu: Kann denn auch ein kleiner Hund die Buddha-Natur haben? Der Roshi – so nennt man einen Zen-Meister – antwortete MU (zu deutsch: Nichts).

Zugrunde liegt folgende Überlegung: Wenn alles Buddha Natur hat und Buddha in allem ist, dann müsste doch selbstverständlich auch ein Hund – oder ein Regenwurm oder eine Ratte – Buddha-Natur haben. Warum antwortete Joshu trotzdem mit „MU“, also mit „Nein“ und „Nichts“ und „Nicht-Sein“? Warum sagte er nicht „U“, also“Ja“, zumal gerade Meister Joshu in anderem Zusammenhang immer wieder auf die Buddha-Natur alles Lebendigen hingewiesen hatte?

Die Antwort liegt darin, dass Joshu die Frage des Mönches nicht etwa beantwortet, sondern ablehnt. Sein „Mu“ will sagen: Kümmere dich nicht um Metaphysik. Oder auch: Kümmere dich nicht um Dinge, die dich nichts angehen.

(

J.E.Behrendt in „Nada Brahma, S.42)

 

 

 

Das Versteck der Weisheit

 

Vor langer Zeit überlegten die Götter, dass es sehr schlecht wäre, wenn die Menschen die Weisheit des Universums finden würden, bevor sie tatsächlich reif genug dafür wären. Also entschieden die Götter, die Weisheit des Universums so lange an einem Ort zu verstecken, wo die Menschen sie solange nicht finden würden, bis sie reif genug sein würden.

 

Einer der Götter schlug vor, die Weisheit auf dem höchsten Berg der Erde zu verstecken. Aber schnell erkannten die Götter, dass der Mensch bald alle Berge erklimmen würde und die Weisheit dort nicht sicher genug versteckt wäre. Ein anderer schlug vor, die Weisheit an der tiefsten Stelle im Meer zu verstecken. Aber auch dort sahen die Götter die Gefahr, dass die Menschen die Weisheit zu früh finden würden.

 

Dann äußerte der weiseste aller Götter seinen Vorschlag: "Ich weiß, was zu tun ist. Lasst uns die Weisheit des Universums im Menschen selbst verstecken. Er wird dort erst dann danach suchen, wenn er reif genug ist, denn er muss dazu den Weg in sein Inneres gehen."

 

Die anderen Götter waren von diesem Vorschlag begeistert und so versteckten sie die Weisheit des Universums im Menschen selbst.

 

(Verfasser unbekannt)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zwei Wölfe

 

Ein alter Indianer saß mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten.

 

Der Alte sagte nach einer Weile des Schweigens:

Weißt Du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend.“

 

Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?“ fragte der junge.

 

Der Wolf, den ich füttere“ antwortete der Alte.

 

 

 

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II. Gedichte und mehr...

 

 

Man muss den Dingen
Die eigene, stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann;
alles ist austragen -
und dann
Gebären...

Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos still und weit ...

Man muss Geduld haben,
gegen das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antwort hinein.

Rainer Maria Rilke, Briefe an einen jungen Dichter

 

 

 

 


 

 

Die geistliche Suche ist eine Reise,
die keine Entfernung überwindet.
Man reist von dort, wo man sich gerade befindet,
dahin, wo man schon immer war.
Von Unwissenheit zur Erkenntnis,
denn man sieht jetzt zum ersten Mal,
was man schon immer vor Augen hatte.

Wer hörte je von einem Pfad,
der dich zu dir selber führt.
Oder von einer Schule,
die dich so formt,
wie du schon immer warst.
Spiritualität bedeutet schließlich nur,
das zu werden, was du wirklich bist.

Anthony de Mello

»Wie ist das klein, womit wir ringen,
was mit uns ringt, wie ist das groß;
ließen wir, ähnlicher den Dingen,
uns so vom großen Sturm bezwingen,
wir würden weit und namenlos.«

Rainer Maria Rilke

 

 

 

Ich habe die ganze Welt
auf der Suche nach Gott durchwandert
und ihn nirgendwo gefunden.
Als ich wieder nach Hause kam,
sah ich ihn an der Türe meines Herzens stehen,
und er sprach:
„Hier warte ich auf dich seit Ewigkeiten“.

Da bin ich mit ihm ins Haus gegangen.

 

Rumi

 

Invitation

 

Es interessiert mich nicht, wie Du Dein Geld verdienst -

Ich will wissen, was Du schmerzlich vermisst und ob Du die Sehnsucht Deines Herzens zu träumen vermagst.

 

Es interessiert mich nicht, wie alt Du bist.

Ich will wissen, ob Du riskierst, wie ein Narr auszusehen für Deine Liebe, Deinen Traum, das Abenteuer lebendig zu sein.

 

Es interessiert mich nicht, welche Planeten Deinen Mond kreuzen.

Ich will wissen, ob Du das Zentrum Deines Kummers berührt hast, ob Du vom Leben betrogen - Dich geöffnet hast oder Du geschrumpft bist und verschlossen, aus Angst vor weiterem Schmerz.

 

Ich will wissen, ob Du verweilen kannst mit Schmerz, meinem oder Deinem ohne zu versuchen, ihn zu verstecken, zu besiegen oder festzuhalten.

Ich will wissen, ob Du Freude aushältst, meine oder Deine; ob Du wild sein kannst im Tanz und ob Du die Ekstase zulässt bis in Deine Fingerspitzen und Zehen ohne uns zu ermahnen, realistisch und vorsichtig zu sein und an die Grenzen menschlicher Existenz zu erinnern.

 

Es interessiert mich nicht, ob Deine Geschichten wahr sind.

Ich will wissen, ob Du jemand anderen enttäuschen kannst, um wahr Dir selbst gegenüber zu bleiben, ob Du den Vorwurf von Verrat erträgst, aber nicht Deine eigene Seele verrätst; ob Du untreu sein kannst und deshalb vertrauenswürdig.

 

Ich will wissen, ob Du Schönheit sehen kannst, auch wenn sie nicht jeden Tag hübsch ist und ob Du die Quelle Deiner Existenz erkennst.

Ich will wissen, ob Du mit Versagen leben kannst, Deinem und Meinem

und trotzdem am Seeufer stehen kannst und zum Silbermond rufen "ja"!

 

Es interessiert mich nicht, wie Du wohnst und wieviel Geld Du hast.

Ich will wissen, ob Du nach der Nacht von Verzweiflung und Trauer, verletzt bis auf die Knochen, aufstehen kannst, und tust, was für die Kinder getan werden muß.

 

Es interessiert mich nicht, wen Du kennst und aus welchem Grund Du hier bist,

Ich will wissen, ob Du im Zentrum des Feuers mit mir stehen kannst und nicht zurückschreckst.

 

Es interessiert mich nicht, wo oder was oder mit wem Du studiert hast.

Ich will wissen, was Dich im Inneresten zusammenhält, wenn alles auseinanderfällt.

Ich will wissen, ob Du mit Dir alleine sein kannst und ob Du die Begegnung wirklich schätzt - in den leeren Augenblicken.

 Oriah Mountain Dreamer                                 Indian Elder

 

Es gibt etwas,

was man an einem einzigen Ort

in der Welt

finden kann.

Es ist ein großer Schatz,

man kann ihn die Erfüllung

des Daseins nennen.

Und der Ort,

an dem dieser Schatz

zu finden ist,

ist der Ort,

wo man steht.

 

Martin Buber

 

 

 

Leonardo Boff in „Zärtlichkeit und Kraft – Franz von Assisi mit den Augen der Armen gesehen“ (S.185)

 

Ich habe einmal  einen alten vernünftigen und guten, vollkommenen und heiligen Mitbruder sagen hören:

 

Wenn du den Ruf des Geistes hörst, folge ihm, und mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Herzen und mit all deinen Kräften bemühe dich, heilig zu werden.

        

Wenn du es aber wegen der menschlichen Schwäche nicht schaffst, heilig zu werden, dann versuche mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Herzen und mit all deinen Kräften, vollkommen zu werden.

 

Wenn es dir aber wegen der Eitelkeit deines Lebens nicht gelingt, vollkommen zu werden, dann bemühe dich mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Herzen und mit all deinen Kräften, gut zu werden.“

 

Wenn es jedoch wegen der Nachstellungen des Bösen auch nicht fertig bringst, gut zu werden, dann sieh mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Herzen und mit all deinen Kräften zu, vernünftig zu werden.

 

         Wenn es jedoch wegen der Last deiner Sünden schließlich weder zu einem heiligen noch zu einem vollkommenen, noch zu einem vernünftigen, noch zu einem guten Menschen reicht, dann versuche, diese Last vor Gott zu bringen, und übergib dein Leben der göttlichen Barmherzigkeit.

 

         Wenn du dies wegen der Zärtlichkeit Gottes, der ja auch die Undankbaren und Bösen liebt, ohne Bitterkeit, in aller Demut und mit heiterem Geist tust, dann wirst du zu spüren beginnen, was es heißt, vernünftig zu sein, wirst lernen, was gut sein ist, wirst langsam danach streben, vollkommen zu werden, und wirst schließlich dich danach sehnen, heilig zu werden.

 

         Wenn du dies jeden Tag mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Herzen und mit all deinen Kräften tust, dann kann ich dir versichern, Bruder, dass du auf dem Weg des heiligen Franz und nicht mehr weit vom Reich Gottes bist!“