23.12.2020

 

Nach längerer Pause schalte ich mal wieder Gesammeltes frei.

 

Und unter "Eigene Lyrik" traue ich mich mal wieder mit eigenen Texten hervor.

 

Viel Vergnügen!

 

 

Die folgende Geschichte hörte ich einst (1989/90) erstmals von Dr. Peter Jessen (ehem. Oberarzt unter Dr. Walther Lechler, 10 Jahre Chefarzt der Suchtklinik Landhaus Sonnenberg/ Odenwald). Mit ihm gemein habe ich die Freude an Geschichten und Zitaten. Sie sind ein wertvoller Bestandteil meiner therapeutischen Arbeit .... und wurden auch Inspiration für "Kleinkunst": "Lieder, Lyrik und Geschichten".

 

 

 

Die Geschichte vom alten Indianer

 

Ein alter Indianer lebte allein mit seinem Sohn in seinem Wigwam. Er hatte nur noch ein altes Pferd. Eines Tages lief ihm das Pferd davon. Da kam der Nachbar des alten Indianers und sagte: „Was bist Du nur für ein Pechvogel. Welch ein Unglück!“ Der alte Indianer saß immer ruhig vor seinem Wigwam. Er antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Der Sohn des alten Indianers ging auf die Suche nach dem Pferd. Tagelang durchstreifte er die Berge und Täler. Schließlich kam er in ein abgelegenes Seitental und fand dort das alte Pferd inmitten einer Herde von 12 rassigen Wildpferden. Der junge Indianer fing sie alle ein und kam schließlich mit 13 Pferden zurück. Da schien der alte Indianer nun ein gemachter Mann. Der Nachbar kam angerannt und rief: „Was hast du doch für ein Glück! Jetzt hast du gleich eine ganze Herde von 13 Pferden! Welch ein großes Glück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Glück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Der Sohn des alten Indianers begann, die Wildpferde einzureiten. Schließlich geschah es. Er fiel vom Pferd und brach sich ein Bein. Da lag er nun im Wigwam des Vaters und musste gepflegt werden. Da kam der Nachbar und wollte sein Mitgefühl ausdrücken. Jetzt hattest du endlich mal Glück und dann so etwas. Das tut mir sehr leid. Wer weiß was aus deinem Sohn wird? Welch ein Unglück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Da wurden alle jungen Männer auf den Kriegspfad gerufen. Alle erwachsenen Söhne verließen ihr zuhause, um einen befeindeten Stamm anzugreifen. Nur der Sohn des alten Indianers blieb zuhause. Er war nicht zu gebrauchen. Da kam der Nachbar und sprach: “Welch ein Glück im Unglück! All meine Söhne ziehen nun fort. Nur du behältst deinen Sohn. Was hast du nur für ein Glück!“ Der alte Indianer antwortete nur: „Glück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Und so kam es dann auch. Die jungen Männer waren erfolgreich und überraschten den feindlichen Stamm. Reich war ihre Beute aus den Wigwams des Feindes. Sie schmückten ihre Zelte damit reichhaltig aus. Der Nachbar wurde auch von seinen Söhnen reich beschenkt und wollte dem alten Indianer ein Stück der Beute abgeben. „Was bist du doch für ein Pechvogel. Du tut mir leid. Gerne gebe ich dir etwas ab. Du sollst nicht leer da stehen in deinem Unglück.“ Der alte Indianer verzichtete jedoch freundlich und antwortete nur: „Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?“

 

Der überfallene Indianerstamm sann auf Rache. Die Überlebenden fanden sich schließlich mit einem befreundeten Stamm zusammen und überfielen den Stamm des alten Indianers. Sie plünderten und brandschatzten in allen Zelten, in denen sie ihr geraubtes Hab und Gut vorfanden. Nur den spärlichen Wigwam des alten Indianers und seines verkrüppelten Sohnes verschonten sie. Nebenan lag der Nachbar tot vor seinem abgebrannten Wigwam. Der alte Indianer saß immer noch vor seinem Zelt und blickte umher: „Glück-Unglück? Wer weiß? Warten wir ab. Wer weiß, wozu es gut ist?!“